Neues entdecken und angstfrei das Internet nutzen

Senioren-Tablet statt Seniorenteller

Onlinebanking, Gesundheits-Apps, Live-Chats mit den Enkeln: Warum die Nutzung des Internets das Leben im Alter bereichert und wie der angstfreie Schritt ins digitale Neuland gelingt. „Das Thema hat uns einfach überrannt!“, sagt Dagmar Hirche, Vorsitzende des Hamburger Vereins Wege aus der Einsamkeit e.V. (kurz: WADE). In Hamburg und Berlin begleitet sie Menschen der Generation 65+ in bewusst kleinen Workshops bei den ersten Schritten in die digitale Welt.

Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben noch nie ein Smartphone oder Tablet in der Hand gehabt. „Das Interesse an den Gesprächsrunden ist riesig und wir haben in viereinhalb Jahren knapp 4000 Seniorinnen und Senioren zwischen 66 und 94 Jahren das Internet zugänglich gemacht.“ Wege aus der Einsamkeit e.V. hat sich vorgenommen, die Einstellung zum Alter positiver zu gestalten. Alte wie junge Menschen sollen sich auf eine lange Lebenszeit freuen können – selbstbestimmt und angeschlossen an den großen (Frei-)Raum der digitalen Welt. Der Verein ist Ansprechpartner für die Medien, Forum für Betroffene, Engagierte und Interessierte.

Das Netz „versilbern“

„Wir versilbern das Netz!“ heißt die Digitaloffensive, mit der WADE älteren Menschen das World Wide Web näher bringt. In Gesprächs- und Lerngruppen mit maximal sieben Teilnehmenden wird das „1×1 der Smartphones und Tablets“ genauso vermittelt wie das wichtige „1×1 des Onlinebankings“; Letzteres in Kooperation mit der Hamburger Sparkasse). Menschen mit eigenem Smartphone oder Tablet, die bereits mit den Grundanwendungen sicher umgehen, können außerdem an den „Versilberer-Cafés“ teilnehmen, wo entspannt und mit viel Spaß unterschiedliche weiterführende Anwendungen der neuen Technik geübt werden.

Die lange Lebenszeit selbstbestimmt gestalten

„Die Altersbilder befinden sich im Umbruch“, erklärt Hirche. Es besteht sowohl der Bedarf als auch die Notwendigkeit, ältere Menschen ins Netz zu bringen. „Es gibt eine große Anzahl von Menschen über 65, die aus verschiedenen Gründen nicht mit der digitalen Welt vernetzt sind. Diese Menschen werden noch viele Jahre Teil unserer Gesellschaft sein. Ein Großteil heutiger Informationen, Hilfestellungen und natürlich Kontaktmöglichkeiten wird via Internet abgerufen. Wer nicht am Internet teilnimmt, versäumt einen wichtigen Teil gesellschaftlichen Lebens – das verschärft die Thematik altersbedingter Isolation. Das Verständnis zwischen den Generationen klafft weiter auseinander, Menschen müssen gegebenenfalls früher in Betreuung als notwendig und werden von vielen bereichernden Lebensaspekten abgeschnitten. Besonders Menschen auf dem Land profitieren vom Onlineangebot.

„Wir Menschen bleiben eben auch digital immer Menschen – verbunden und kommunikativ.“

Wo die Mobilität eingeschränkt ist und damit gleichzeitig die Wege länger sind, ist es besonders wertvoll, sich mittels Onlinebanking, Gesundheits-Apps und Vernetzung mit der Familie das Leben ins eigene Heim zu holen. Die meisten Menschen Ü65 haben sehr großes Interesse an diesem Thema betont Hirche. „Oft fehlt schlichtweg die Möglichkeit, sich altersgerecht in die digitale Welt einführen zu lassen. Deshalb sind Angebote wie unsere Versilberer-Initiativen so wichtig!“

Mit den Enkeln skypen und virtuell in die Karibik reisen

Wer sich mit dem Internet auskennt, weiß: Es bietet eine Fülle von Möglichkeiten, die Lebensqualität zu steigern, etwa auf bequeme Weise mit Familie und Freunden in Kontakt zu sein oder verloren gegangene reale Mobilität durch virtuellen Bewegungsfreiraum zu ersetzen. Das Internet macht Kommunikation unglaublich leicht, sei es durch einen WhatsApp-Chat mit den Kindern, ein Grußvideo vom Enkelchen oder eine lebhafte Diskussion in einem Internetforum. Informationen werden leichter zugänglich, Hilfe schneller verfügbar und es lässt sich durchaus Geld sparen, zum Beispiel beim Onlinebanking, beim Einkaufen im Internet oder durch die Nutzung von Onlinepreisvergleichsportalen.

Viel Neugier, eine Prise Mut und eine Möglichkeit – mehr braucht es nicht

Menschen, die noch nie mit der virtuellen Welt in Berührung gekommen sind, brauchen einen an ihre Bedürfnisse angepassten Rahmen, um erste Schritte im Internet zu gehen. Dagmar Hirche hat dazu viele Erfahrungen sammeln können:

„Es gibt eine große Anzahl von Menschen über 65, die aus verschiedenen Gründen nicht mit der digitalen Welt vernetzt sind.“

„Wir mussten lernen, sehr einfache Begriffe zu nutzen, damit ein Verständnis entstehen kann. Das haben uns die ersten Teilnehmerinnen und Teilnehmer gelehrt. Langsame Einführung in die Handhabung, Unterlagen zum Nachlesen in ebenfalls einfachen Worten, Übungsgeräte vor Ort und vor allem eine gehörige Portion Humor, Spaß und Neugier, damit das Ganze eine leichte, spielerische Note bekommt, sind wichtig. Denn so groß, wie das Interesse ist, so groß ist bei manchen die Angst. Einen geschützten Lernraum zu bieten, darauf kommt es uns an. In meinen Gruppen geht es herzlich und sehr lustig zu. Circa 80 Prozent unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind zwischen 72 und 87 Jahre alt. Einige sind mit wenig finanziellen Mitteln ausgestattet. Deshalb sollten digitale Lernangebote kostenfrei sein!“ Dank der lockeren Atmosphäre, der überschaubaren Teilnehmerzahl und den bildhaften, einfachen Anleitungen ist das Eis zwischen den Menschen und den digitalen Medien schnell gebrochen. „Mut kostet im Grunde nur der erste Schritt zu uns. Danach stehen die Freude über Erfolgserlebnisse und all die neu gewonnenen Möglichkeiten im Vordergrund“, resümiert die WADE-Vorsitzende.

In dem Artikel „Der mutige Schritt von der Oma zur Super-Oma“ auf www.silver-tipps.de erzählt Ellen Löwer wie die digitalen Medien ihr Leben und auch das ihrer Enkelkinder bereichert hat.

„Inzwischen veranstalten wir gemeinsam mit Sponsoren auch Versilberer-Partys, laden zu Flashmobs, Senioren-Speeddating und Silent Discos ein. Es reicht schließlich nicht nur, theoretisch zu wissen, was Bluetooth kann. Man darf das ruhig tanzend erleben!“ Die Veranstaltungen füllen sich so schnell wie die Gesprächskreise.

Viele schöne Erlebnisse

Über die Jahre hat Dagmar Hirche unzählige wundervolle Erlebnisse mit ihren „Digital-Seniorinnen und -Senioren“ teilen dürfen. „Wir haben gemeinsam so viel zu lachen und zu entdecken. Ich selbst lerne nie aus bei alledem. Es ist einfach ein Vergnügen. Eine ältere Dame entdeckte zum Beispiel fast konsterniert, dass sie beim Solitärspiel auf dem Tablet nicht schummeln kann. Eine andere fragte mich einmal, nachdem sie fit im Benutzen von WhatsApp und anderen Anwendungen ihres Smartphones war, wann wir denn endlich zeigen würden, wie man mit dem Ding telefoniert. Andere erzählen von dem guten Gefühl, endlich wieder Anschluss an viele Lebensbereiche gefunden zu haben. Wir Menschen bleiben eben auch digital immer Menschen – verbunden und kommunikativ. Das Leben wird wieder weiter, vielfach einfacher und vor allem bunter. Ohne Stress.“

Die Nachfrage ist groß, das deutschlandweite Angebot noch viel zu klein

„Der demografische Wandel ist nun wirklich kein Überraschungsgast, dennoch gibt es aus der Politik bisher wenig Lösungsangebote in diesem Themenfeld. Ehrenamtliche Initiativen sind gefragt!“, schildert Dagmar Hirche die aktuelle Situation. WADE schult in Seniorenwohnanlagen und Altenheimen auf Nachfrage die Bewohnerinnen und Bewohner vor Ort und regt die Heimleitungen an, regelmäßige Stammtische anzubieten. So können sich die Bewohnerinnen und Bewohner beim Umgang mit den Smartphones und Tablets austauschen. „Toll wäre es, wenn Seniorenheime einige ihrer Aktivitäten auch online anbieten würden, damit an ihr Zimmer gebundene Bewohnerinnen und Bewohner, die gelernt haben ein Tablet zu nutzen, trotzdem eingebunden sind in die Hausaktivitäten. Die Niederlande sind ein tolles Beispiel.

„Eine gehörige Portion Humor, Spaß und Neugier sind beim Lernen wichtig.“

Dort wird das bereits vielfach umgesetzt. Leider ist in Seniorenwohnanlagen und Altenheimen kostenloses WLAN immer noch eine absolute Ausnahme. Es braucht Unterstützung aus der Politik. Ein gelingendes Beispiel ist das Projekt Digital-Botschafterinnen und -Botschafter für Rheinland-Pfalz. Es zeigt, wie das Mitnehmen aller Menschen gelingen kann. Die Ehrenamtlichen werden unter anderem dort aktiv, wo die Hilfe am meisten benötigt wird: in Seniorenheimen, Pflegeeinrichtung oder bei den Menschen zu Hause.“

Das Interview führte Fabian Geib.

Einige grundlegende Erfolgsfaktoren für Angebote aus Dagmar Hirches Erfahrungsschatz für Digital-Botschafterinnen und -Botschafter und solche, die es werden wollen:

• Angebote sollen möglichst kostenfrei sein, damit alle Menschen teilnehmen können.

• Sieben Teilnehmende sind für eine Lehrende Person das Maximum.

• Die genutzten Räume sollten barrierefrei zugänglich sein und über kostenfreies WLAN verfügen.

• Vormittagsangebote von 10:00 bis 13:00 Uhr haben sich aufgrund des Tagesrhythmus als besonders vorteilhaft erwiesen.

• Digital-Botschafterinnen und -Botschafter sollten geübt sein in bildhafter, einfacher Sprache und entsprechende Theorieunterlagen bereithalten.

• Eine klare, artikulierte Aussprache ist besonders wichtig, bei den fremden und oft völlig neuen Begrifflichkeiten.

• Üben ist besonders wichtig, deshalb sollten Smartphones und Tablets bereitstehen, für Menschen, die selbst noch keines besitzen.

Dieser Artikel gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Datum: 1. April 2019