Ein Bild zeigt ein Mädchen, wie es auf dem Berliner Holocaust-Mahnmal liegend in die Kamera lacht. Fährt man mit der Maus über das Bild, verändert es sich, und das Mädchen liegt plötzlich mit dem gleichen Lachen zwischen KZ-Opfern. Mit diesem und anderen Bildern sorgte der Künstler Shahak Shapira in den letzten Wochen für großes Aufsehen im Internet. Mit seinem Projekt Yolocaust hinterfragte er die deutsche Erinnerungs- und Selfie-Kultur in sozialen Netzwerken.
Posen zwischen Betonsäulen
Um was genau geht es bei Yolocaust? Dem Künstler Shahak Shapira fiel auf, dass viele Touristinnen und Touristen ihren Besuch am Berliner Holocaust-Mahnmal festhalten und in sozialen Netzwerken veröffentlichen. Daran ist zunächst nichts verwunderlich, doch ihn stört, dass die Menschen oftmals nicht nachdenken, welche Bilder sie an so einem Ort machen. Häufig sieht man die Menschen in Mitten des Mahnmals nett in die Kamera lächeln, zwischen den Säulen posieren, auf den Blöcken liegen oder über das Denkmal laufen.
Die Unterschriften der Bilder sind außerdem sehr fraglich. Ein Junge postete beispielsweise ein Bild, auf dem er über die Steine springt, mit der Überschrift: „Jumping on dead jews“, also auf Deutsch: „Auf toten Juden herumspringen“.
Bewusst provozieren
Auf seiner Seite Yolocaust hat Shahak Shapira zwölf Selfies ausgewählt und in einer Fotomontage mit Originalaufnahmen aus nationalsozialistischen Vernichtungslagern verbunden. So lächelt auf einem Bild eine junge Frau von einem der Betonblöcke, die bei der Bewegung mit der Maus strahlend vor einem Berg von Schuhen in einem Vernichtungslager steht. In weiteren Bespielen führt ein Jongleur sein Kunststück plötzlich inmitten eines Massengrabes auf, oder ein Pärchen macht ein Selfie mit abgemagerten KZ-Insassen.
Die Internetseite wurde in kürzester Zeit über 2,5 Millionen Mal aufgerufen und sorgte für viele Diskussionen und Reaktionen. Auch die zwölf Personen, die auf den Selfies zu sehen sind, haben sich mittlerweile bei dem Künstler gemeldet. Shahak Shapira hat die Seite inzwischen geschlossen, da die Botschaft von fast allen verstanden wurde, und die beispielhaft ausgewählten Personen die Bilder aus ihren Profilen gelöscht haben.
In einem Videobeitrag vom SWR lässt sich das Projekt noch einmal nachvollziehen:
Video-Link: https://youtu.be/Fgo58fwCvaA
Shahak Shapira provoziert, und das ganz bewusst. Das Denkmal mitten in der Stadt und mit ihm das Gedenken an die NS Zeit scheint zur Normalität geworden zu sein. Ihm geht es darum, den Menschen einen Denkanstoß zu geben und das Bewusstsein zu schärfen für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Thema Holocaust.
In einem Interview mit Sputniknews erklärt der Künstler „Ich weiß nicht, wie ich genau zu diesem Mahnmal stehe. Was ich auf jeden Fall weiß, ist was dieses Mahnmal sehr gut tut: Es zeigt, wie die Gesellschaft — vor allem junge Menschen — das Thema Holocaust angehen und wie sie es sehen.“ Ihm ist durchaus bewusst, dass es bei Selfies in erster Linie um Selbstinszenierung geht, aber er stellt die Frage: Wie weit kann man gehen, ohne die Grenzen des guten Geschmacks zu übertreten? Die Menschen sollen vor allem Nachdenken, bevor sie solche Fotos machen, und überlegen, was sie dazu in den sozialen Netzwerken schreiben.
Die Bedeutung des Mahnmals
Für Peter Eisenman, den Architekten des Mahnmals, ist sein Werk ein Ausdruck künstlerischer Freiheit, so wie auch Selfies eine gewisse Form des Kunstschaffens sind. Er will bewusst provozieren und macht in seinem Interview mit Spiegel Online klar, dass der Ort kein heiliger Ort ist, und er sich selbst nicht viele Gedanken über Denkmäler macht. Für ihn ist es ein Abbild dessen, was die Menschen fühlen, und das lässt sich nicht steuern. Es soll die Deutschen an ihre Vergangenheit erinnern, aber auch das starre Denken lösen, wie etwas zu sein hat.
Weiterführende Links
Interview mit Mahnmal-Architekt Peter Eisenman auf Spiegel.de
Shahak Shapira im Interview über Yolocaust auf Faz.net
Artikel über die Einstellung des Projekts auf Faz.net