Frauenpower im Digital-Botschafter-Ehrenamt

„Jeder, jede kann Digital-Botschafterin oder Digtial-Botschafter werden. […] Man muss Lust haben im Umgang mit digitalen Medien und vor allen Dingen muss man Lust dazu haben, dies anderen älteren Menschen zu vermitteln. Von daher rufe ich auf, sich zu bewerben, und insbesondere, dass sich Frauen als Digital-Botschafterinnen bei uns melden“, so Sabine Bätzing-Lichtenthäler, die ehemalige rheinland-pfälzische Sozialministerin, im Imagefilm zum Digital-Botschafter-Projektstart 2018. Offenbar sind viele Frauen dem Aufruf der ehemaligen Ministerin gefolgt, denn 41 Prozent der Digital-Botschafter*innen, sind weiblich. Damit ist das Ziel einer geschlechterausgewogenen Beteiligung im Projekt zwar noch nicht erreicht, aber in greifbare Nähe gerückt.

Anja Thimel ist als akademische Mitarbeiterin im Projekt „DiBiWohn“ (Digitale Bildungsprozesse für ältere Menschen in seniorenspezifischen Wohnformen) für die Stiftung Medien- Kompetenz Forum Südwest tätig. Sie hat Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Lebenslanges Lernen und Medienbildung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz studiert und 2020 ihre Masterarbeit über die Digital-Botschafterinnen geschrieben.

Wer engagiert sich im digitalen Ehrenamt?

Den Projektverantwortlichen war es ein besonderes Anliegen, Frauen für das Ehrenamt zu gewinnen, da eine Studie1 aus dem Jahr 2017 zu Internet-Initiativen für Senior*innen in Rheinland-Pfalz gezeigt hatte, dass nur 21 Prozent Frauen ehrenamtlich im Bereich Senior*innen und Internet tätig sind. Im baden-württembergischen Projekt FUTA2 betrug der Frauenanteil 35 Prozent, im europäischen Projekt Seniors@DigiWorld3 38 Prozent. Soviel zur Statistik. Doch wer verbirgt sich hinter den Zahlen? Was sind das für Frauen, die sich als Digital-Botschafterinnen in diesem technischen und männlich dominierten Ehrenamt engagieren?

Laut der Bundesagentur für Arbeit4 liegt der Frauenanteil in den sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) noch heute bei nur 16 Prozent. Insgesamt ist zwar die Zahl der erwerbstätigen Frauen in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen, doch noch immer sind sie vor allem in den schlechter bezahlten klassischen Frauendomänen Gesundheit, Erziehung und Dienstleistung tätig, und das häufig in Teilzeit. Auch im Ehrenamt konzentrieren sich die Frauen auf Kirche, Kinder und den gesundheitlichen und sozialen Bereich. Ein Ehrenamt im technischen Bereich ist für Frauen eher untypisch. Bei allen gesellschaftlichen Bestrebungen zur Gleichstellung bestehen Männer- und Frauendomänen weiter, und in den Köpfen halten sich Vorstellungen von typisch männlichen und weiblichen Eigenschaften. Mädchen und Frauen schätzen nach wie vor ihre digitalen Kompetenzen geringer ein als Jungen und Männer. Dabei sind die Unterschiede gesellschaftlich konstruiert, weil historisch bedingte Einstellungen fortwirken und Frauen noch immer den weitaus größten Teil der Familienarbeit leisten.

Ich selbst bin 1964 geboren und habe als Mädchen und junge Frau schon von den gesellschaftlichen Entwicklungen, ausgelöst durch die Studentenbewegung der späten 1960er, die Emanzipationsbewegung der 1970er-Jahre und die Bemühungen der Bildungspolitik um Chancengleichheit von Jungen und Mädchen profitieren können. Umso größer ist mein Respekt vor den Digital-Botschafterinnen, die in den 1950er-Jahren oder früher geboren und noch viel mehr als ich nach alten Rollenmustern erzogen und sozialisiert worden sind. Was bewegt sie, sich entgegen den gesellschaftlichen Zuschreibungen im technischen Bereich zu engagieren? Um darüber mehr herauszufinden, habe ich 2020 für meine Masterarbeit in der Fachrichtung „Lebenslanges Lernen und Medienbildung“ vier Digital-Botschafterinnen nach ihren biografischen Zugängen zu den digitalen Medien, nach ihren Einstellungen, Erfahrungen und ihrer Selbsteinschätzung befragt.

Mutig und offen für Neues sein

Eins vorweg: Die von mir befragten Digital-Botschafterinnen sind so verschieden wie die Menschen, die sie auf ihrem Weg in die digitale Welt begleiten. Eine sachlich-distanziert, eine quirlig-lebensfroh, eine selbstsicher-gelassen und eine still-zurückhaltend. Was sie gemeinsam haben: Sie suchen nach einer sinnstiftenden Tätigkeit im Ruhestand und sind offen für Neues. Damit bestätigen sie eine wissenschaftliche Untersuchung zur Technikakzeptanz5, die von allen Persönlichkeitsmerkmalen nur die „Offenheit gegenüber Neuem“ als Voraussetzung für die Akzeptanz technischer Entwicklungen eindeutig bestätigt hat. Zwei der Befragten haben früh einen Berufsweg in der Informationstechnologie eingeschlagen und müssen zu ihrer Anfangszeit in den 1970er-Jahren wahre Exotinnen gewesen sein. Die beiden anderen haben nach der Familienpause eine Computerfortbildung zur Wiedereingliederung in den Beruf absolviert. Damit haben alle vier die Computertechnik als zentral für ihre beruflichen Werdegänge erlebt. Sie alle bildeten sich stetig weiter, stellten sich den Herausforderungen des lebenslangen Lernens und förderten damit ihre Karrieren. Bemerkenswert ist, dass sie die entsprechenden Angebote nicht nur für sich wahrgenommen haben, sondern heute selbst aktiv im Ehrenamt solche Angebote gestalten. Die befragten Frauen leben in wohlsituierten Verhältnissen, zwei von ihnen in Partnerschaften, und sind nicht zu stark in die Familienarbeit (Kümmern um Enkelkinder und Eltern) eingebunden – Bedingungen, die einer Entfaltung im Ehrenamt sicher zugutekommen.

Den ersten Kontakt zu Computern haben drei der vier Frauen stressfrei erlebt, so berichten sie. Die digitalen Medien sehen sie heute alle in erster Linie pragmatisch, genießen aber auch die Möglichkeiten zur Unterhaltung oder zum kreativen Gestalten. Alle nutzen Instant Messenger. Facebook stehen sie kritisch gegenüber und möchten sich dort nicht selbst präsentieren. Eine der Frauen, die politisch aktiv ist, liebt und nutzt Twitter zum Austausch. Für alle sind die digitalen Medien unabdingbar, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Sie bewerten sie als hilfreich für die Lebensbewältigung und die Kompensation von (altersbedingten) Defiziten. Das ist ihre Motivation, die digitalen Medien älteren Menschen näherzubringen.

Dafür suchen sie diese zu Hause oder in Senioreneinrichtungen auf, gestalten Treffs oder Informationsveranstaltungen – je nach Typ allein oder im Team. Ihr Medium sind in erster Linie die mobilen Endgeräte: Smartphones und Tablets.

Nicht die Technik sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellen

Die Digital-Botschafterinnen gehen nicht dogmatisch vor, sondern erspüren die Bedürfnisse der Menschen und möchten Ängste nehmen, so beschreiben sie ihre Arbeit. Darin – im Emotionalen und Sozialen – sehen sie auch ihre wichtigsten Kompetenzen. Bei ihren männlichen Kollegen sehen sie die sozialen und emotionalen Kompetenzen weniger stark ausgeprägt, diese setzten häufig zu viel Vorkenntnisse voraus. Sie gäben sich dominanter, selbstsicherer und technisch versierter, ohne dass dies notwendigerweise begründet sei. Die beiden IT-Fachfrauen schreiben sich eine hohe informationstechnische Kompetenz zu, die beiden anderen dagegen halten sich für technisch nicht sehr begabt, haben aber – und das ist entscheidend – keine Angst vor den Geräten. Zwei der Digital-Botschafterinnen verfügen über ausgeprägte Organisations- und Führungskompetenzen zu verfügen, eine ist allein im Ehrenamt unterwegs und eine fühlt sich wohl im Team. Alle vier befragten Digital-Botschafterinnen haben trotz unterschiedlicher Voraussetzungen eine große Selbstwirksamkeitserwartung. Sie vertrauen nicht nur in ihre eigene Kompetenz, mit den digitalen Medien umzugehen, sondern auch in ihre Fähigkeiten zur Vermittlung digitaler Kompetenzen an andere.

Digital-Botschafterinnen sind Rollenvorbilder

69 Prozent der Digital-Botschafter*innen geben an, dass bei ihren Angeboten nur Frauen (4 Prozent) oder überwiegend Frauen (65 Prozent) teilnehmen. Könnte das an dem hohen Anteil von Frauen im Digital-Botschafter-Ehrenamt liegen? In den Silver-Surfer- oder den FUTA-Kursen waren im Vergleich etwa ebenso viele Frauen wie Männer vertreten. Die Diskrepanz zwischen der Bereitschaft, als Multiplikatorin tätig zu sein, und der zur Teilnahme an einer Weiterbildung oder zur Annahme eines Digital-Botschafter-Angebots liegt also nicht am Interesse an den digitalen Medien, sondern im Selbstvertrauen, das eigene digitale Wissen weiterzugeben. Frauen könnten gut erklären, wie die Dinge zusammenhängen, berichtet eine Digital-Botschafterin im Imagefilm zum Projektstart. Digital-Botschafterinnen können nicht nur gut erklären, sondern sie dienen auch als Rollenvorbild und ermutigen, indem sie selbst den kompetenten und entspannten Umgang mit den digitalen Medien vorleben, andere Frauen: nicht nur ältere Einsteigerinnen in die digitale Welt, sondern auch jüngere Frauen zum Beschreiten neuer Wege und zum Ergreifen (informations-)technischer Berufe.

1 Preßmar/Hüsing/Geib (2017): Silver Surfer Fachtagung: https://www.zww.uni-mainz.de/files/2018/08/Praesentation_Dr._Florian_Pressmar.pdf (zuletzt abgerufen am 18.11.2021).
2 Doh, Michael et al. (2016): Projekt FUTA – Förderliche und hinderliche Faktoren im Umgang mit neuen Informations und Kommunikationstechnologien im Alter. Heidelberg. Verfügbar unter futa-ergebnisbericht_2015.pdf (uni-heidelberg.de) (zuletzt abgerufen am 17.11.2021).
3 seniors@digital word (2017): Connect Seniors to the Digital World. Senior citizens’ and multipliers’ training needs study – Report on Findings (01). Verfügbar unter https://www.digitale-chancen.de/assets/includes/sendtext.cfm?aus=11&key=1485&pkey=2&dltype=2 (zuletzt abgerufen am 17.11.2021).
4 Bundesagentur für Arbeit (2021): Berufe auf einen Blick: MINT, Nürnberg. Verfügbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Interaktive-Angebote/Berufe-auf-einen-Blick-MINT/Berufe-auf-einen-Blick-
MINT-Nav.html (zuletzt abgerufen am 17.11.2021).
5 Vgl. Claßen, Katrin (2013): Zur Psychologie von Technikakzeptanz im höheren Lebensalter: Die Rolle von Technikgenerationen.  Universitätsbibliothek Heidelberg, S. 102.

Dieser Artikel gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Datum: 23. Februar 2022