Jüngere Generationen können es sich kaum vorstellen, das Internet nicht zu nutzen. Blickt man in die Soziodemografie der Internetnutzerinnen und -nutzer, dann zeigt sich, dass nahezu jede Person zwischen 14 und 29 Jahren online ist (vgl. hierzu ARD/ZDF-Onlinestudie 2015). Anders verhält es sich bei den Personen über 60 Jahren. Hier sind zwar seit Jahren langsam steigende Onlinerzahlen zu verzeichnen, jedoch ist nach wie vor mit 49,6 Prozent knapp die Hälfte dieser Menschen offline. Legt man die aktuellen Bevölkerungsdaten zugrunde, sind dies mehr als 10 Millionen Menschen in Deutschland. Aber warum ist das so?
Die Gründe, das Internet nicht zu nutzen, sind äußerst vielseitig. Nicht alle Offliner haben sich bewusst gegen eine Nutzung des World Wide Webs entschieden. Neben finanziellen Aspekten und technischen Hürden führen auch fehlende Kompetenzen im Umgang mit dem Internet dazu, offline zu bleiben. Wie eine Studie des österreichischen Instituts für Strategieanalyse zeigt, ist gerade für ältere Offlinerinnen und Offliner das mangelnde Wissen über die potenziellen Einsatzmöglichkeiten des Internets ein gewichtiger Grund (vgl. Perlot/Holzinger/Filzmaier 2011, Seite 25). Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Hauptgrund für die Nicht-Zuwendung zum World Wide Web das fehlende Bewusstsein über dessen Möglichkeiten ist. Technische Herausforderungen der Internetnutzung sind entsprechend nachgelagerte Problemstellungen, die erst dann an Relevanz gewinnen, wenn eine Zuwendung zum Internet aus bestimmten Gründen wahrscheinlicher wird. „Offliner zweifeln zwar mitunter an ihren Online-Fähigkeiten, werden aber in erster Linie vom fehlenden Interesse und Bedarfsgefühl abgehalten“ (vgl. ebd., Seite 13). Ein Zusammenhang von fehlenden Kompetenzen im Umgang mit der Technik und einem mangelnden Interesse am Internet wird seitens der Herausgeber der Studie nicht ausgeschlossen.
Kein Interesse am Internet – Erfahrung als Schlüsselfunktion
Maßgeblich für die Zuwendung zum Internet sind daher persönliches Interesse und die gemachten Erfahrungen mit diesem und anderen Medien. So ist das Erkennen von Mehrwerten im Internet eng verknüpft mit der Medienbiografie eines Menschen. Ausgehend von der Annahme, dass Menschen bestimmte individuelle Bedürfnisse und Themen aus ihrer Lebenswelt auch mit Medien bearbeiten, werden, aufbauend auf den vorher gemachten Erfahrungen, Erwartungen an das Medium mit dessen Leistungsfähigkeit verknüpft. Je eher ein Medium den eigenen Bedürfnissen entspricht und je positiver die gemachte Erfahrung hiermit ist, desto eher wird es bei Bedarf rezipiert.
Menschen ab 60 Jahren: starke Bindung an klassische Massenmedien
Das Internet ist ein Ort der Information, der Kommunikation, aber auch der Unterhaltung und Präsentation. Betrachtet man die medialen Lebenswelten von Menschen ab 60 Jahren, dann fällt im Vergleich zu jüngeren Menschen auf, dass eine starke Bindung an klassische Massenmedien wie das Fernsehen, das Radio oder die Zeitung zu erkennen ist (vgl. hierzu Media Analyse 2016). Ältere verbringen wesentlich mehr Zeit mit diesen Medien; ihr Bedürfnis nach Informationen und Unterhaltung wird so gestillt. Verknüpft man diese Nutzung mit dem oben dargestellten Ansatz der Bedürfnisorientierung und der individuellen Medienbiografie, dann wird im Bezug auf ältere Offlinerinnen und Offliner deutlich, dass Erwartungen und Routinen zentrale Momente für das Interesse an einem Medium sind. Wenn das Internet im Medienkanon älterer Offlinerinnen und Offliner eine Rolle spielen soll, müssen Mehrwerte dieses Mediums erkannt sowie Bedeutungen und Erwartungen zugewiesen werden.
Steigender sozialer Druck
Auf mehreren Ebenen erhöht sich der sozialer Druck auf die Menschen, die das Internet nicht nutzen. Zum einen wird die Nutzung des Internets immer selbstverständlicher. Im Fernsehen wird regelmäßig auf weitere Angebote im Internet verwiesen, Radiosender bieten Mehrwertdienste auf ihrer Website an und bewerben diese in ihrem Programm, und Tageszeitungen weisen auf Videos und Fotostrecken zu lokalen Anlässen auf ihrer Internetpräsenz hin. Kurzum, das Internet ist auch in den klassischen Massenmedien omnipräsent. Dies kann bei Menschen, die nicht im Internet aktiv sind, zu Druck führen. Sie können das Gefühl haben, etwas zu verpassen, nicht mehr „am Puls der Zeit“ zu sein und von heute augenscheinlich elementaren Prozessen der Informationsgewinnung ausgeschlossen zu werden. Zum anderen steigt häufig der Druck durch die unmittelbare soziale Umgebung. Menschen auf der Straße, die ständig ihr Smartphone nutzen, Kinder oder Enkel, die wie selbstverständlich an Informationen gelangen, die ohne den Zugang zum Internet nur schwer oder umständlich zu bekommen sind, oder Freunde, die im Internet aktiv sind und von ihren Erfahrungen erzählen. Viele Prozesse des sozialen Zusammenlebens haben sich ins Internet verlagert und schließen diejenigen aus, die hierzu keinen Zugang haben.
Veränderte Medienwelten
Erledigungen des Alltags wie Einkäufe, Behördengänge oder Bankgeschäfte werden in gewohnter Routine im direkten sozialen Kontakt und in den jeweiligen Institutionen vor Ort erledigt. Eine Notwendigkeit, diese Gewohnheiten zu verlassen, sehen viele Offlinerinnen und Offliner nicht, zumal mögliche Vorteile einer Erledigung über das Internet sich nicht unmittelbar von selbst erschließen. Entstandener (sozialer) Druck, auf Basis sich verändernder Lebenswelten, kann jedoch zu einer gezwungenen Veränderung der Verhaltensweisen führen. Leben ältere Offlinerinnen und Offliner zum Beispiel in ländlichen Regionen, in denen immer mehr Banken ihre Filialen schließen, kann sich aufgrund der Entfernung der nächsten Filiale eine Veränderungsnotwendigkeit ergeben. Onlinebanking kann dann zu einer realen Alternative werden.
Zugang zum Internet: Freunde und die Familie haben eine Schlüsselposition
Wer sich auf den Weg ins Internet macht, der beginnt seine Reise häufig im Kreise der Familie und Freunde. Wie wichtig diese lebensweltliche Verortung für die ersten Erfahrungen im Umgang mit einer neuen Medienwelt ist, zeigt auch die Studie des österreichischen Instituts für Strategieanalyse. „Offliner, die das Medium bei welcher Gelegenheit auch immer ausprobieren bzw. verwenden konnten, stehen der Technologie offener gegenüber. Familien- und Freundeskreis sind für diese ersten Erfahrungen wichtigere Ansprechpartner als Kurse oder Schulungen“ (Perlot/Holzinger/Filzmaier 2011, Seite 35). Und auch für eine dauerhafte Nutzung des Internets ist es besonders bedeutsam, Anknüpfungspunkte im Freundes-, Familien- und Bekanntenkreis zu haben. Denn wer ein Medium mit einem bestimmten Zweck verknüpfen kann, der wird eher eine Sinnhaftigkeit in dessen Nutzung erkennen. Gerade Smartphones und Tablets eignen sich hierfür in besonderer Weise. Bilder aus dem Urlaub per Mail, Kurznachrichten über Instant Messenger und Neuigkeiten aus der Heimat auf Reisen: Smarte Technologien haben viele Schnittstellen zum täglichen Leben.
Gemeinsames Lernen
Für eine tiefere Beschäftigung mit dem Internet ist es wichtig, Erfahrungsräume zu eröffnen. Internet-Einsteigerkurse oder Senioren-Internet-Treffs bieten Austauschmöglichkeiten über verschiedenste Themenstellungen. Wie bedeutsam diese Lernräume sind, zeigen die Ergebnisse der Silver-Surfer-Studie (vgl. Preßmar 2015, Seite 306). Das Lernen mit Menschen in ähnlichen Lebenssituationen und mit ähnlichem Erfahrungshintergrund dient dem sozialen Vergleich. Teilnehmende aus Kursen berichten davon, dass ihnen im Kreise der Lernenden die Überwindung der eigenen Hürden und Ängste einfacher gefallen ist, da deutlich war, dass andere Personen vor ähnlichen Herausforderungen im Umgang mit modernen Technologien stehen und die Bedienung von Gerätschaften keineswegs eine reine Selbstverständlichkeit ist. Im direkten Kontakt zu Personen mit einer größeren Interneterfahrung äußerten die Befragten häufig, sich unfähig zu fühlen und nicht in der Lage zu sein, von Internetnutzerinnen oder -nutzern als einfach dargestellte Sachverhalte nachvollziehen zu können. Kurse können auch daran ansetzen, die häufig bei Offlinerinnen und Offlinern vorhandenen Sicherheitsbedenken im Umgang mit dem Internet zu thematisieren und Lösungswege aufzuzeigen.
Positive Erfahrungen mit dem Internet ermöglichen
Offlinerinnen und Offliner befinden sich in einem Spannungsverhältnis zwischen persönlichem Interesse, ritualisierten Nutzungsformen klassischer Massenmedien und sich wandelnden Lebenswelten. Der potenziell hieraus entstehende soziale Druck kann einerseits dazu führen, aktiv zu werden und sich auf den Weg ins Internet zu begeben. Andererseits können neben passiven Vermeidungsstrategien auch bewusste Entscheidungen gegen die Nutzung dieses Medium gefällt werden. Eine Nutzung des Internets wird dann wahrscheinlich, wenn der Nutzen und die Vorteile der Onlinewelt erkannt und Schnittstellen zur Lebenswelt anhand vorhandener Interessen und Bedürfnisse geschaffen werden. Eine zentrale Position für den Einstieg ins Internet haben Freunde und die Familie inne. Sie sind oft der Ort der ersten Erfahrung mit der neuen Medienwelt. Weiterführend können strukturierte Kursangebote, aber auch Senioren-Internet-Treffs hilfreich sein, da sie den Teilnehmenden Lernen unter ähnlichen Vorbedingungen ermöglichen und Erfahrungsräume eröffnen.
Quellen:
ARD/ZDF-Onlinestudie (2015): Soziodemografie der Onlinenutzer. URL: http://www.ard.de/home/intern/fakten/ard-mediendaten/Soziodemografie_der_Onlinenutzer/409236/index.html [Stand 10.06.2016]
Media Analyse (2016): Zeitbudget für audiovisuelle Medien, Personen ab 14 bzw. 10 Jahren. URL: http://www.ard.de/home/intern/fakten/ard-mediendaten/Zeitbudget_fuer_audiovisuelle_Medien/408778/index.html [Stand 10.06.2016]
Perlot, Flooh/Holzinger, Thomas/Filzmeier, Peter (2011): Offliner-Studie. Qualitative Ursachenforschung zur Nicht-Nutzung des Internet in Österreich. URL: http://www.strategieanalysen.at/offliner/gesamtbericht_offliner.pdf [Stand: 11.06.2016]
Preßmar, Florian (2015): Bildungsangebote zur Steigerung der Computer- und Internetkompetenz von Seniorinnen und Senioren. Konzeption – Realisation – Evaluation. [Dissertationsschrift – in der Veröffentlichung]