Online-Studie des Forschungsschwerpunkts Medienkonvergenz

Always on? Digitaler Stress und die Folgen ständiger Erreichbarkeit

Viele Geräte werden einer Frau vor das Gesicht gehalten.

Smartphones und mobile Internetnutzung sind zum festen Bestandteil des Alltags vieler Nutzerinnen und Nutzer geworden. Sie versprechen ständigen Zugriff auf vielfältige bereichernde Funktionen des Internets. Gleichzeitig drohen neue Belastungen durch permanente Verfüg- und Erreichbarkeit. Was sind die Folgen von „Digitalem Stress“ und wie kann man ihm begegnen?

In den letzten Jahren hat sich die Internetnutzung der Deutschen durch die Verbreitung von Smartphones schlagartig gewandelt: Lag die Anzahl der Internetnutzerinnen und -nutzer mit mobilem Internetzugang im Jahr 2010 nur bei etwas über 10 Prozent, surften im Jahr 2016 fast 70 Prozent aller User auch unterwegs (Quelle: ARD/ZDF-Onlinestudie 2016 ). Diese Entwicklung ist einerseits ein Segen: Mit dem Smartphone werden eine Reihe ganz zentraler Vorteile der Internetnutzung ständig verfügbar. So reißt die Verbindung zu den Online-Freunden per E-Mail, Facebook oder sogenannten Messenger-Diensten wie WhatsApp niemals ab. Das Smartphone wird quasi zum „digitalen Taschenmesser“ und ständigen Begleiter, der jegliche Wünsche nach Information, Kommunikation und Unterhaltung orts- und zeitunabhängig erfüllt. Die mobile Internetnutzung erhöht somit die persönliche Autonomie und den Handlungsspielraum im Alltag. Einerseits. Andererseits entstehen durch die ständige Verbindung mit dem Internet auch neue Herausforderungen. So werden die neuen Möglichkeiten der Online-Kommunikation von vielen Nutzerinnen und Nutzern nicht nur als willkommene Erweiterung der eigenen Möglichkeiten, sondern auch als Quelle von Stress und Belastung erlebt. Das Smartphone eröffnet eben nicht bloß neue Wege der selbstbestimmten und an den eigenen Bedürfnissen orientierten Nutzung, es kann auch in ein neues Korsett von Erwartungen und sozialen Verpflichtungen zwängen. Nicht nur steigt mit der wachsenden Erreichbarkeit im Alltag der wahrgenommene Druck von außen, ständig und möglichst sofort auf ankommende Nachrichten zu reagieren. Viele Nutzerinnen und Nutzer empfinden ihrerseits die Furcht, etwas Wichtiges zu verpassen, wenn sie ihr Smartphone zu lange aus den Augen lassen.

Studie zu „Digitalem Stress“

Die Folgen, die die steigende Anzahl von Kommunikationsinhalten im Alltag und der gefühlte Druck zur ständigen Erreich- und Verfügbarkeit auf das eigene psychologische Wohlbefinden haben, sind bisher schwer abzusehen. Ziel einer im Jahr 2015 durchgeführten Studie des Forschungsschwerpunktes Medienkonvergenz an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz war es daher, die Ursachen und Folgen von „digitalem Stress“ zu erforschen und dabei auch mögliche Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Nutzerinnen und Nutzern zu identifizieren: Sind Jüngere, die quasi mit dem Internet groß geworden sind, weniger anfällig für digitalen Stress? Oder ist ihr Risiko gerade wegen ihrer intensiven Nutzung neuer Medien höher als das älterer Nutzerinnen und Nutzer? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, wurde eine repräsentative Stichprobe deutscher Internetnutzerinnen und -nutzer zu ihrem Nutzungsverhalten und ihrem Stressempfinden befragt.

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass neue Medien im Alltag vieler User tatsächlich eine Quelle von Stress darstellen können. Insbesondere eine hohe Zahl gesendeter und empfangener Nachrichten sowie das sogenannte „Internet Multi-Tasking“, also die Nutzung von Online-Inhalten, während gleichzeitig andere Tätigkeiten ausgeübt werden (z.B. ein Gespräch mit Freunden, eine Mahlzeit oder eine Arbeitsaufgabe), trägt zum wahrgenommenen Stress bei. Dieser „digitale Stress“, so zeigen die Ergebnisse der Studie weiter, kann sich negativ auf das Wohlbefinden und die psychologische Gesundheit auswirken. Ältere und jüngere Nutzerinnen und Nutzer zeigten sich dabei unterschiedlich empfänglich für verschiedene Auslöser des digitalen Stresses: So litten jüngere weniger stark unter einer hohen Anzahl von empfangenen und versendeten Online-Nachrichten als ältere Nutzerinnen und Nutzer. Letztere zeigten sich hingegen weniger anfällig für die negativen Folgen von Internet Multi-Tasking – vermutlich nicht zuletzt, weil diese Nutzungsform bei älteren Usern auch wesentlich seltener auftritt als bei jüngeren.

Wege aus dem Stress?

Was also tun gegen die möglichen Risiken des digitalen Stresses? Eine vermeintlich naheliegende Antwort wäre „einfach abschalten“. Und „Smartphone-freie“ Zonen und Zeiten im Alltag sind sicher ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Doch das reine Abschalten des Smartphones hilft nicht unbedingt beim „Abschalten“ im übertragenen Sinne: Wenig ist gewonnen, wenn das Smartphone zwar aus, das gedankliche Kreisen um das Online-Geschehen aber in vollem Gange ist. Wichtig erscheint es daher auch, die eigenen Reflexe und Sorgen rund um die ständige Erreichbarkeit kritisch zu hinterfragen: Verpasse ich wirklich etwas, wenn ich offline bin? Entgeht mir nicht eigentlich viel mehr, wenn ich ständig online bin? Das Ziel muss ein individueller Umgang mit den neuen Möglichkeiten der Always-On-Gesellschaft sein, der das eigene Leben bereichert, statt die eigene Freiheit zu beschneiden.

 

Quelle:

Reinecke, L., Aufenanger, S., Beutel, M. E., Dreier, M., Quiring, O., Stark, B., Wölfling, K., Müller, K. W. (2016). Digital stress over the life span: The effects of communication load and Internet multitasking on perceived stress and psychological health impairments in a German probability sample. Media Psychology, online first.

Dieser Artikel gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Datum: 24. Januar 2017