Die COVID-19 Krise legt sich wie ein Brennglas über diverse gesellschaftliche Baustellen, darunter die der digitalen Teilhabe älterer Menschen. Wird zum einen die digitale Spaltung unserer Gesellschaft aufgrund mangelnder Ressourcen und Kompetenzen (nicht nur, aber vor allem bei den älteren Menschen) offensichtlich, zeigen sich zum anderen sehr deutlich die Potenziale zur Lebensbewältigung und zur sozialen Teilhabe durch die Nutzung digitaler Medien – indem z. B. in Zeiten der Kontaktbeschränkung mit Familie und Freunden über Instant Messenger und Videotelefonie kommuniziert wird – und erhalten einen besonderen Auftrieb.
Am 10.11.2020 präsentierten im Online-Symposion des Fachausschusses „Alter und Technik“ der DGGG (Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie) zum Thema „COVID-19 als `Brennglas`: Was wir aus der Krise zum Thema Altern und Digitalisierung lernen können“ Expertinnen und Experten ihre aktuellen Forschungsergebnisse und Praxisprojekte. So gibt es z. B. das „DemTab“ der Charité Berlin für eine Tablet-basierte ambulante Versorgung von Menschen mit Demenz, das nicht nur die Kommunikation zwischen Hausarzt und Angehörigen erleichtert und viele gezielte Informationen bereitstellt, sondern auch zur Aktivierung der Menschen mit Demenz im häuslichen Umfeld genutzt werden kann. Wichtig ist, dass die Angehörigen gut geschult und die Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen bei der Nutzung digitaler Geräte stets begleitet werden. Im „TAKSI“(Technikakzeptanz und soziale Innovation)-Reallabor der Hochschule Harz werden mit der Beteiligung von Haupt- und Ehrenamtlichen Smartphone-Sprechstunden angeboten. Um die Sprechstunden auch unter Corona-Bedingungen weiterführen zu können, hat man sich ein Setting mit Abstand, Monitor und Zeigestab ausgedacht, das gut angenommen wird. Die Smartphone-Sprechstunden sind auch Türöffner für die Akzeptanz der Assistenztechnik, die in der Musterwohnung für altersgerechtes Wohnen des Projekts erprobt wird.
Auf dem Gebiet der Assistenz- oder AAL(Ambient Assisted Living)-Technik, die die Autonomie und die Sicherheit älterer und pflegebedürftiger Menschen steigern und ihre Versorgung verbessern soll, gibt es zahllose Entwicklungen und Studien. Nachweise für ihre Wirksamkeit und für positive Versorgungseffekte gibt es aber bisher nur für spiel– oder sensorbasierte Systeme, so ein Sprecher der DKV (Deutsche Krankenversicherung). Bei der Entwicklung möchte man die Kooperation zwischen Ingenieurinnen, Ärzten, Pflegekräften und nicht zuletzt der Zielgruppe, nämlich der älteren und pflegebedürftigen Menschen, als „Experten in eigener Sache“ fördern. Es gibt ein hohes Potenzial für Assistenztechnik gerade im Betreuten Wohnen, sowohl zum Vorteil der Bewohnerinnen und Bewohner als auch zur Entlastung des Pflegepersonals. Entscheidend für die Akzeptanz ist die Zuverlässigkeit und Bedienfreundlichkeit. Aus der Praxis wird berichtet, dass die Technik vielerorts noch nicht ausgereift und fehlerhaft und außerdem sehr wartungsintensiv sei. Das beeinträchtigt die Akzeptanz. Der „Renner“ dagegen seien zielgruppenunabhängige Anwendungen wie Instant Messenger und Videotelefonie[t1] . Eine Studie der Hochschule Kempten in Einrichtungen der stationären Pflege hat ergeben, dass zwar persönliche Begegnungen favorisiert werden, die Videotelefonie aber insgesamt als gewinnbringend und zukunftsträchtig bewertet wird. Sie erfordert allerdings das Engagement von Angehörigen und Pflegekräften und selbstverständlich eine entsprechende technische Ausstattung mit WLAN und Endgeräten. Als schwierig erweist sie sich für Menschen mit verringertem Seh- und Hörvermögen und Menschen mit einer Demenzerkrankung.
Eine Befragung von älteren Onlinern durch die Uni Heidelberg hat den Zusammenhang von digitaler Kompetenz und gesellschaftlicher Teilhabe sowie dem sozialen Wohlbefinden in Zeiten der Krise bestätigt, räumt aber ein, dass die Situation bei Hochaltrigen und in Pflegeeinrichtungen einer gesonderten Betrachtung bedarf. Eine Luxemburger Studie verzeichnet eine Steigerung telefonischer und digitaler Kommunikation. Eine Schweizer Studie bestätigt ein erhöhtes Einsamkeitsgefühl sowie eine Kompensation der fehlenden persönlichen durch telefonische und digitale Kontakte. Sie legt zudem die Gefahr einer doppelten Isolation in Pflegeeinrichtungen offen, wenn digitale Lösungen und die nötige Unterstützung nicht gegeben sind. Die Uni Dortmund hat herausgefunden, dass in erster Linie ältere Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status, ältere Menschen im ländlichen Raum, ältere Menschen mit Migrationshintergrund, ältere Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen mit Multimorbidität und unter ihnen die Frauen in besonderem Maße von der digitalen Exklusion betroffen sind. Die BAGSO (Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen) hat in ihrer COVID-Studie festgestellt, dass das Engagement von Technikbegleiterinnen weitergeht: Der Schwerpunkt liegt jetzt allerdings nicht auf der persönlichen Begegnung, sondern auf Telefon-, Videotelefonie- oder Online-Formaten und Fernwartung. Um der digitalen Spaltung, die auch andere Aspekte der Spaltung und sozialen Ungleichheit verstärkt, zu begegnen, fordert sie – analog zum Digitalpakt für Schulen – einen „Digitalpakt Alter“, der das Grundrecht auf Teilhabe durch die digitale Grundversorgung der Menschen ermöglicht und finanziert.
Worüber sich die Expertinnen und Experten einig sind: Analoge und digitale Umwelt sollen sich keinesfalls ausschließen, sondern einander ergänzen. Digitale Angebote sollen komplementäre Angebote sein, also die herkömmlichen analogen Angebote erweitern und ergänzen. Der digitale Push durch die Pandemie eröffnet Experimentier- und Handlungsräume, kann aber auch ältere Menschen unter Handlungsdruck setzen. Ihr Wohlergehen und ihre Souveränität stehen im Vordergrund.
Zum Weiterlesen: Bis 31.12.2020 finden Sie hier alle Informationen und Beiträge zum Symposion.