Wer kennt die Formel nicht: Das Gehirn ist ein Muskel, man muss ihn nur trainieren. Anstelle von Hantelstangen und Gewichten treten dann Kreuzworträtsel und Sudokus. Wer regelmäßig Worträtsel löst und Zahlenreihen ausfüllt, der bleibt geistig fit! Dass diese These und der damit verbundene Zusammenhang zu kurz greifen, zeigt die moderne Hirnforschung. Denn das Trainieren des Gehirns ist komplex und lässt sich nicht eins zu eins mit dem Training von Muskeln vergleichen. Dies betont auch der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther. In einem Interview mit der österreichischen Zeitung der Standard aus dem Jahr 2015 betont er die Bedeutung von Emotionen beim Lernprozess. „Damit im Hirn langfristig etwas verankert werden kann, muss das, was man lernen will, unter die Haut gehen. Neurobiologisch heißt das, es muss zu einer Aktivierung der emotionalen Zentren und damit zur Freisetzung neuroplastischer Botenstoffe im Hirn kommen, sodass das Neugelernte in Form von neuaufgebauten Netzwerken verankert wird. Dann bleibt es lange hängen.“
Der Stellenwert des Lernens
Aber welchen Stellenwert nimmt die Fähigkeit zu Lernen denn für Menschen ein und warum ist es denn so wichtig lernfähig zu bleiben? Egal ob nach Abschluss der Schule, der Ausbildung oder des Studiums: zu glauben, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt in seinem Leben ausgelernt hat, greift schlicht zu kurz. Vielmehr sind Menschen permanent mit Lernherausforderungen konfrontiert, und zwar nicht nur über die Lebensjahre hinweg, sondern vielmehr auch in allen Lebensbereichen. Das wird immer dann deutlich, wenn es zu Veränderungen im Alltag eines Menschen kommt. Die Familie, der Freundeskreis oder der Wohnort sind hier nur einige Bereiche, die Veränderungspotenziale mit sich bringen können. So kann die Geburt eines Enkels, der Verlust eines Partners oder der Umzug in eine neue Lebensumgebung zu Lernnotwendigkeiten führen. Dies müssen aber nicht nur tiefgreifende Umwälzungen sein. Auch schon die Anschaffung eines Smartphones anstelle des gewohnten Handys kann zu Irritationen im sonst gewohnten Alltag und hiermit verbundenen Lernherausforderungen führen. Zentral ist: Kommt es zu Veränderungen in unserer Umwelt, müssen wir uns anpassen, und genau dieser Umstand wird als Lernen bezeichnet. Der Biologe und Hirnforscher Gehardt Roth bezeichnet deshalb Lernen auch als die universelle Fähigkeit eines Menschen zur mittel- und langfristigen Anpassung an seine Umwelt. Also immer da, wo wir mit gewohnten Routinen nicht weiterkommen, müssen wir Neues lernen und an unsere bestehenden Erfahrungen anknüpfen. Wenn wir diese Fähigkeit verlieren, verlieren wir auch die Fähigkeit an der Gesellschaft teilzuhaben. Lernen, Lernmöglichkeiten und -erfolge sind deshalb zentrale Dimensionen für eine gelingende soziale Partizipation und das Erleben von Kompetenz.
Im Alter lernt man anders
Die häufige Verwendung des Begriffs Lernen im Kontext von Schule, Studium und Beruf verstellt den Blick darauf, dass Menschen in allen Lebensphase auf den Prozess des Lernens angewiesen sind. Und auch das Leben in höheren Lebensabschnitten ist nicht frei von Veränderungen. Ganz im Gegenteil: Die Lebenswelten älterer Menschen sind genauso wie die von jüngeren einem permanenten Wandel unterworfen; wenngleich Veränderungs- und Lernprozesse unter anderen Vorzeichen und Bedingungen ablaufen und da jeder Mensch individuell altert, gibt es auch nicht die Erfolgsformel, wie man im Alter am besten lernt. Vielmehr ist dies abhängig von den Lerngegebenheiten, denn im Unterschied zu Lernprozessen wie man sie etwa aus der Schule oder der Ausbildung kennt, sind Lernanlässe im Alter oft freiwillig gewählte und bewusste Beschäftigungen mit einem Thema. Beispiele hierfür können Kurse an Volkshochschulen sein. Aber auch viele Universitäten erleben eine immer größere Nachfrage seitens älterer Lernender. An einigen Hochschulen, wie etwa der Universität in Ulm, werden deshalb Lernprogramme speziell für ältere Menschen angeboten.
Der Schlüssel zum Lernen im Alter
Zentral für das Lernen im Alter ist das eigene Interesse und damit verbunden die Frage, ob man in der Beschäftigung mit dem Thema einen Sinn sieht. Dieser knüpf meist an die Lebenserfahrungen, das Vorwissen und die Bedürfnisse an. Denn vor allem dort, wo die Bedeutung für die eigene Lebenssituation gesehen wird, kann auch Lernen stattfinden. Hinzu kommt, dass ältere oft vor einem anderen Hintergrund als jüngere Menschen lernen. Negative Altersbilder können hier zum Beispiel eine große Rolle spielen. Gerade defizitäre Bilder des Alterns prägten lange Jahre die öffentliche Diskussion. Das Alter galt als eine Lebensphase der Passivität und des (naturgegebenen) Verlustes von Fähigkeiten. Das stereotype Bild von gebrechlichen und zurückgezogenen älteren Menschen erweist sich als äußerst hartnäckig und beeinflusst bis heute das Selbstbild Älterer sowie deren Einschätzung hinsichtlich ihrer eigenen Lernfähigkeit. Wissenschaftliche Untersuchung haben längst gezeigt, dass das Alter in erster Linie durch Stabilität und nicht hauptsächlich durch Abbau gekennzeichnet ist.